Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Buch des Monats: Eva schläft

Teil der Reihe: Buch des Monats: Neues, Liebenswertes, vergessene Schätze - für Sie gehoben

rezensiert von Sabine Bachmair (ebw Kulturführerschein-Absolventin)

Wer gute und packende Literatur liebt, die nicht einer eitlen Selbstdarstellung des Autors dient, sondern wer mit zunehmender Spannung und Begeisterung ein Buch lesen will und sich jeden Abend darauf freut (wie ich), ist mit „Eva schläft“ von Francesca Melandri sehr gut bedient. Ich hätte auch anfangen können: wer aus Büchern etwas lernen will ohne belehrt zu werden und wenn dieses Lernfeld auch noch die demütigend lange und von vielen Terroranschlägen gebeutelte autonome Provinz Bozen, sprich Südtirol, zum Thema hat, wird sich von diesem Buch fesseln lassen. Oder Leser, die die gewaltige Bergwelt Südtirols lieben, dort gern urlauben und immer noch nicht wissen, WIE italienisch diese italienische Republik ist, weil überall ein ulkiges „deutsch“ mit harten Kehllauten gesprochen wird, werden erfreut sein einen Roman entdeckt zu haben, der das alles enthält: die historische Entstehung von Südtirol, sein Terrorgeschehen in den 60er Jahren, eingebettet in eine dramatische Familiengeschichte über einige Generationen.

Was passiert? Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Eva, der Autorin, gebürtig und aufgewachsen in Südtirol als Kind einer ledigen Mutter. Sie wuchs nach dem 2. Weltkrieg im politisch zerstrittenen und von Anschlägen erschütterten Südtirol auf. Sie wird allein von ihrer Mutter großgezogen, die sich mühsam mit Arbeiten in einer Hotelküche in Meran über Wasser hält, nachdem sie vom Hof verstoßen wurde. Die Herkunftsfamilie lebt auf einem steilbergigen, ärmlichen Anwesen in einem Hochtal, und einige der Verwandten, die sich dem Befreiungskampf gewidmet haben, lassen dabei ihr Leben. Dank guter Schutzengel wächst Eva heran, befreit sich aus der provinziellen Enge und wird eine erfolgreiche selbständige Frau. Es ist keine erfundene Geschichte, sondern ein authentischer Bericht, der weder die bedrückende Armut der Bergbauern noch die gnadenlosen Vorurteile gegen jede Form von Andersartigkeit verschweigt. Manchmal bleibt einem beim Lesen schier die Luft weg, z.B. bei der dichten Schilderung, wie bei Nonnen in Bozen ledige Kindsmütter entbunden werden.

Der Roman wechselt zwischen Rückblick und Gegenwart. Eva tritt nicht ganz freiwillig eine Reise in den tiefen Süden Italiens an, sie fährt mit dem Zug und erfasst im Blick aus dem Zugfenster Kilometer für Kilometer die Schönheiten des beargwöhnten Landes, das sich ihr vertrautes Südtirol politisch einverleibt hat. Sie will den Mann treffen, der einmal Vaterrolle in ihrem Kinderleben einnahm und nun im Sterben liegt. In ihrer Vorstellung entfaltet sich noch einmal ihre ganze Kindheit in Südtirol, geprägt von den politischen Verwerfungen dieser Region, aber vor allem von der Liebe ihrer Mutter, der im Leben nichts geschenkt wurde.
Dramaturgisch gelingt es der Autorin überaus geschickt drei Handlungsstränge miteinander nahtlos zu verweben, gleich einem geflochtenen Zopf der alten Südtiroler Bäuerinnen.
Allerdings ist das Titelbild des Taschenbuches eine Zumutung, noch dazu auf einem Heyne–Buch! Und der merkwürdige Titel samt dem geschminkten Covergirl führt sehr in die Irre. Wer aber die ersten zwei Seiten gelesen hat, ist bestimmt schon gefangen und mag nicht mehr aufhören.

Wer Südtirol mag und sich von historischen Familiengeschichten bewegen lässt, für den ist es genau DAS Buch!

Sabine Bachmair

Francesca Melandri:
EVA SCHLÄFT
Heyne Taschenbuch
2012, 436 S. mit Glossar

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