Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Aus der Geschäftstelle

Reformation, Macht, Politik – was würde Luther heute sagen?
Letztes Ostern schrieb Alain Posener in der „Welt“ eine Reportage über die Kirche im Osten Deutschlands und fragte mich in diesem Zusammenhang, wieso in der Geschichte die evangelische Kirche gegenüber totalitären Regimes so anfällig war. Versucht man eine historische Herleitung, ist man schnell bei Luther, der Reformation und der Lehre von den zwei Reichen bzw. zwei Regimenten angekommen. Ja, noch mehr, dahinter steht der programmatische Satz im 1. Römerbrief, Kap. 13, Vers 1: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott geordnet.“
Aber ist die „Obrigkeit“ wirklich von Gott geordnet? Was, wenn ein Diktator die Menschen knechtet und knebelt, malträtiert und mordet? Hat die Kirche, die auf Jesus von Nazareth fußt, nicht die Pflicht, hier mahnend einzugreifen und, wenn nötig, dem Rad in die Speichen zu fallen, um ein Wort Bonhoeffers aufzunehmen?
Für Luther und die reformatorische Bewegung war das Bündnis von Thron und Altar, die Kooperation mit den weltlichen Fürsten überlebensnotwendig. Schon sein eigenes Leben wäre, ohne die Protektion seines Fürsten Friedrich des Weisen, wohl schnell einem Ketzerprozess zum Opfer gefallen. Luthers Ausfälle gegen die Bauern, die sich gegen Fürstenherrschaft und Unterdrückung erhoben, waren wegweisend für die Kooperation von Landesherren und Kirche, die dann die Verhandlungspartner im Augsburger Religionsfrieden von 1555 festschrieben.
Seitdem ist aber bald ein halbes Jahrtausend vergangen. Wir waren auf dem Mond, checken täglich unsere Mails und verzeichnen Opfer von Cybermobbing. Das Wort „Sünde“, ein zentraler Begriff in Luthers Theologie, taucht heute nur noch in Zusammenhang von Diätvergehen auf. Als Anhänger der dreigeschossigen Welt, bestehend aus Himmel-Erde-Hölle, käme dem Reformator die heutige Weltraumfahrt als Narretei vor (Luther über Kopernikus: „Der Narr aus Frauenberg schweige!“, Kopernikus hatte das geozentrische Weltbild in Frage gestellt).
Der Luther von 1517 wäre heute ein Fremdwesen, völlig abgekoppelt von den Bezügen unseres Lebens. Ihn im Rahmen der Reformationsdekade einfach so mit seiner Sichtweise in unsere Zeit zu beamen, macht ihn zu einem hoffnungslosen Faktotum. Um Luther gerecht zu werden, müssen wir die geänderte Umwelt, die moderne Weltsicht zu Grunde legen und fragen: Was würde Luther heute dazu sagen?
Würde er, angesichts der millionenfachen Verbrechen am jüdischen Volk im 20. Jahrhundert, immer noch seine antijudaistischen Hetzschriften verfassen? Würde er immer noch die Nähe zwischen „Thron und Altar“ suchen angesichts totalitärer Regime, die die Maximen christlicher Ethik ins Gegenteil pervertiert haben?
Was, und das ist spannend, würde Luther zu einem demokratischen Staat sagen, dessen „Herrschaft“ durch Wahlen legitimiert ist und nicht mit einem Gottesgnadentum zu verbinden ist? Sind Regierungen und Parlamente von Gott angeordnet im Sinne von Röm 13,1? Welche Rolle spielt dann die Kirche im politischen Bereich: Partnerin oder Mahnerin? Oder beides?
Reformation, Macht, Politik – das Thema der Reformationsdekade 2014 verspricht Spannung. Diskutieren auch Sie mit, zum Beispiel am Montag, 10. Februar 2014, 19.30 Uhr in der Andreaskirche in München-Fürstenried, Walliser Straße 11. Oder bei uns im ebw, oder in Ihrer Kirchengemeinde. Ihre Meinung zählt!

Herzliche Grüße
Ihr
Felix Leibrock
Geschäftsführer und Pädagogischer Leiter des Evangelischen Bildungswerks München e.V.

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