Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Aus der Geschäftsstelle

„Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen”, dichtet Martin Luther 1524 nach einer alten Antiphon.
Frank Schirrmacher, der langjährige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen, war 2004 in Weimar. Damals war ich Kulturdirektor der Stadt und hatte ihn als profilierten Literaturwissenschaftler, Bildungsexperten und Gesellschaftskritiker ins Deutsche Nationaltheater eingeladen. Im Schillerjahr sollte er eine Rede halten. Damals erschien gerade sein Buch Das Methusalem-Komplott, in dem er vor einer Überalterung der Gesellschaft warnt und zu einem „Aufstand der Alten“ aufruft. Für seine Weimarer Rede einigten wir uns auf das Thema „Schiller hält jung“. Schirrmacher bot ein Feuerwerk an Ideen, originellen Thesen und klaren politischen Forderungen.
Seine Rede habe ich mit anderen Reden zum Schillerjahr herausgegeben. Am Ende seiner Rede geht er auf einen 85jährigen ein, der ihm wegen seiner Vitalität ein Rätsel ist. Hier der Text im Wortlaut:

„Drei Zimmer neben mir in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommt dieses Rätsel alle drei Tage zu mir. Ein Mann, der durch Schiller sich jung hält und Schiller benutzt zum Besprechen von Anrufbeantwortern und Testsendungen im Fernsehen. Jedes Mal frage ich mich wieder, wie er das mit 85 Jahren schafft, nicht nur alle drei Tage zu kommen, sondern noch so ungeheuer produktiv zu sein und so viel zu verändern, auch als Marktfaktor innerhalb dieser Gesellschaft.
Ich weiß, was die Hirnforschung lehrt. Selffulfilling prophecy: Denke so über dich, laß es nicht zu, dass so über dich gedacht wird und dein Hirn wird beweisen, dass es so ist. Er scheint ja so ein Beispiel dafür zu sein, so richtig bin ich aber noch nicht auf den Trichter gekommen. Bis vor wenigen Wochen.
An diesem Tage bekam ich Besuch von Marcel Reich-Ranicki in meinem Büro mit einem dieser Microsoft-Kalender, mit denen man über Jahrzehnte hinweg Pläne machen kann. Da sagte er: „Herr Schirrmacher, ich habe ein wichtiges Anliegen.“ Ich fragte ihn: „Ja, Herr Reich-Ranicki, was ist?“ Er antwortete: „Ja, es geht um einen Termin, den ich ausgemacht habe, mein Lieber, das Jüdische Museum in Frankfurt wird alle meine Bilder ausstellen an meinem 100. Geburtstag.“ Ich war wohl etwas verblüfft. Da schaute er mich an und sagte: „Ich hoffe, Sie können kommen, ich werde da sein.“
Das ist glaube ich der Heros, den wir brauchen für unsere Zukunft.”

Am 12. Juni 2014 ist Frank Schirrmacher im Alter von 54 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in Frankfurt am Main verstorben.

Mit guten Wünschen
Ihr
Felix Leibrock

Geschäftsführer des ebw, Pfarrer

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