Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Aus der Geschäftsstelle

Ein Fremdling soll euch gelten, als wäre er bei euch geboren

Ein alter Mann aus München steht fast ganz alleine am Gleis des Münchner Hauptbahnhofs. Die Polizei begleitet gerade einen Pulk von Flüchtlingen vom Zug aus Budapest zum Registrieren und zum Medizincheck. Der alte Mann beobachtet die Flüchtlinge. Langsam hebt er die Hände und klatscht. Zwar nur leise, weil er schon recht gebrechlich ist. Aber eine junge Flüchtlingsfamilie sieht das. Vermutlich ist es für sie der erste Augenblick seit Wochen ohne Angst. Sie erkennt das Zeichen des Willkommens, auch des Respekts für das, was sie in der letzten Zeit durchgemacht hat. Und dann tut die mit einem Kopftuch bekleidete Frau der Familie etwas sehr Anrührendes: Sie schickt dem alten Mann einen Handkuss. Eine Geste voller Dank, voller Zartheit. Er lächelt die Frau an.
Woher kommen Sie, frage ich den Mann später. Aus Schlesien, sagt er. Er erzählt von seiner Flucht, vom Neuanfang in Bayern damals. Wenigstens die Sprache mussten wir nicht lernen, sagt er.
Nach 1945 sind 13 Millionen Vertriebene in die Besatzungszonen gekommen und mussten komplett neu anfangen. Das später eingetretene Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik Deutschland ist auch ein Erfolg dieser gewaltigen Integrationsleistung. 1989 hat die wirtschaftlich marode DDR ihren Geist aufgegeben. Gewaltige Anstrengungen waren erforderlich, um die infrastrukturellen Defizite im Osten zu beheben. Heute ist Deutschland wirtschaftlich die Nummer eins in Europa. Dazu tragen alle Teile Deutschlands bei, in West und Ost, in Süd und Nord.
Jetzt kommen zum Teil gut qualifizierte und vor allem hochmotivierte Menschen in unser Land.
Nie war Bildung so wichtig wie jetzt. Bildung, hier als Erlernen der Sprache und Kennenlernen der Kultur. Es wird keine Einbahnstraße sein. Wir werden die afghanische Drachensteigkunst beobachten, den grandiosen syrischen Erzählern zuhören, und Menschen aus Eritrea zeigen uns, wie man den schärfsten Eintopf der Welt kocht. Und die Flüchtlinge, die integriert sind, zahlen Steuern, füllen die Sozialkassen mit und sichern so die wirtschaftliche Zukunft im Land mit der zweitniedrigsten Geburtenrate weltweit. Spätestens 2022 stehen mindestens fünf der heutigen Flüchtlingskinder in Katar bei der Fußball-Weltmeisterschaft (so sie dort stattfindet) im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft.
Wer Flüchtlinge gut integriert, profitiert langfristig am meisten davon.

Wenn ein Fremdling bei dir in eurem Land wohnen wird, so sollt ihr ihn nicht bedrücken. Der Fremdling, der sich bei euch aufhält, soll euch gelten, als wäre er bei euch geboren, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen im Land Ägypten. Ich, der Herr, bin euer Gott. 3. Mose 19, 33.34

Einen schönen Herbst wünsche ich Ihnen. Vielleicht sehen wir uns im Evangelischen Bildungswerk. Wir schulen Ehrenamtliche.

Herzliche Grüße
Ihr
Felix Leibrock

P.S.: Wer sich gerne für Flüchtlinge engagieren möchte: www.fluechtlingshilfemuenchen.de

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