Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Aus der Geschäftsstelle



Der lädierte Stern


Beim Aufräumen entdecke ich den Herrnhuter Stern. Ein altes Exemplar aus Papier. Meine verstorbene Mutter hat ihn mit viel Geschick zusammengebastelt. Jetzt hat er Knicke und Dellen. Der ist nicht mehr schön, also werfe ich ihn weg. Denke ich mir.
Aber dann sagt mir eine Stimme ganz entschieden: „Stopp! Wirf den nicht weg.“
„Warum denn nicht?“, frage ich zurück.
„Weißt du noch, unter welchen Umständen den deine Mutter zusammengebaut hat?“
„Ja“, sage ich und erinnere mich. „Das war in den wenigen freien Stunden, die sie hatte. Samstagnachmittags. Da saß sie mit ihrer Freundin Gerlinde zusammen und sie haben viele solcher Sterne gebastelt. Die haben sie dann an arme Familien verschenkt.“
„Und wie war das, wenn du als Kind dazugestoßen bist?“, fragt die Stimme weiter.
„Hm“, sage ich, „das war wunderschön. Meine Mutter und Gerlinde gaben uns Plätzchen. Wir haben Michel aus Lönneberga geschaut, während die Frauen am Tisch die Sterne bastelten.“
Ich merke, wie meine Gedanken immer weiter in diese Zeit eintauchen. In dieses Gefühl, aufgehoben und geborgen zu sein. Ein Gefühl, das man später so vermisst. Auch denke ich an das arbeitsame Leben meiner Mutter. Der Ruhestand, der geprägt war von der Demenz meines Vaters. Voller Liebe hat sich meine Mutter um ihn gekümmert. Dann die Pleite einer Drogeriemarktkette, die den Laden meiner Eltern gemietet hatte. Die existenziellen Sorgen. Schließlich der Schlaganfall. Das eingeschränkte Leben danach. Der Tod vor jetzt zehn Jahren. Ein Leben mit vielen Knicken und Dellen.
Wieder schaue ich auf den lädierten Stern. Ist er nicht ein Symbol für ein solches Leben? Wer hat schon ein Leben ohne solche Knicke?
Ich mache den Stecker rein. Da leuchtet der Stern von innen auf. Die Knicke und Dellen sind fast nicht mehr zu sehen. Das Licht von innen, was für ein Geschenk. Wie wunderbar, wenn wir wissen, dass auch in uns ein solches Licht ist. Wir müssen es anschalten, dann leuchten auch wir. Das Anschalten fällt oft schwer. Weil wir belastet sind. Verzweifelt. Traurig. Kein Akku, kein Strom. Und dennoch ist in jedem Menschen so ein Licht. Mit dem wir andere anleuchten. Uns für sie interessieren. Und dabei selbst die Helle und Wärme in uns spüren. Wieder denke ich an meine Mutter. Sie war nach dem Schlaganfall besonders liebevoll und dankbar. Trotz der Schwere war es eine gute, erleuchtete Zeit.
„Na, willst du den Stern weiterhin wegwerfen?“, fragt mich die Stimme.
„Nein“, sage ich, „will ich nicht mehr.“
„Aber“, sagt die Stimme, „es gibt doch schönere Sterne, ohne Knicke und Dellen.“
„Mag sein“, antworte ich, „aber für mich ist es der schönste Stern der Welt.“

Wir danken unseren FördermittelgeberInnen, unseren KooperationspartnerInnen, unseren ReferentInnen, unserem Vorstand und allen, die bei uns zu Kursen waren und sich uns verbunden fühlen.

Gesegnete Weihnachten und ein glückliches, helles 2022!

Felix Leibrock
Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks, Pfarrer, Autor

Wenn Sie wissen möchten, wer sich hinter den Kürzeln (hinter den Überschriften) verbirgt, hier finden Sie die Lösung:
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